Aufklärungspflicht bei medizinischen Maßnahmen nach den Regeln der ärztlichen Kunst

Ein Patient ist von seinem behandelnden Arzt darauf hinzuweisen, dass bestimmte medizinische Maßnahmen notwendig sind, sofern der Arzt diese erkennt. Eine nur unzureichende Aufklärung stellt laut OGH eine fehlerhafte Behandlung dar. Die Aufklärung verfolgt den Zweck, dem Patienten eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen.

Die Aufklärungspflicht besteht nicht nur dann, wenn die Einwilligung des Patienten zur Durchführung einer ärztlichen Heilbehandlung erreicht werden soll, sondern auch dann, wenn dem Patienten eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen ist, ob er eine (weitere) ärztliche Behandlung unterlassen kann. Dazu gehört, dass der Patient über die nur dem Fachmann erkennbaren Gefahren aufgeklärt wird, weil er andernfalls die Tragweite seiner Handlung oder Unterlassung nicht überschauen und daher sein Selbstbestimmungsrecht nicht in zurechenbarer Eigenverantwortung wahrnehmen kann

 

Der OGH hatte in der Entscheidung 9 Ob 64/08i über folgenden Fall zu entscheiden:
Eine Frau wurde während ihrer Schwangerschaft mit ihrem vierten Kind vom Beklagten gynäkologisch betreut. Sie litt an Bluthochdruck. Ihre am 18. 5. 2005 gemessenen Werte (Blutdruck und Eiweißausscheidung im Harn) entsprachen einer normalen Standardabweichung, sodass keine besonderen Therapiemaßnahmen erforderlich waren. Die Geschädigte wurde für den 8. 6. 2005 zur nächsten Untersuchung bei Ihrem Arzte einbestellt. Am 2. 6. 2005 suchte die Frau den Arzt wegen anhaltender Kopfschmerzen auf. Zu diesem Zeitpunkt wies sie Schwellungen durch Wasser im Gesicht auf, die sich gegenüber der letzten Untersuchung verstärkt hatten. Ihr Blutdruck als auch die Eiweißausscheidung wiesen wesentlich überhöhte Werte auf. Ihr Arzt, der eine drohende „Eklampsie” erkannt hatte, erklärte der Frau, dass es notwendig sei, das Krankenhaus aufzusuchen. Er stellte ihr auch eine Krankenhaus-Einweisung mit der Diagnose „drohende Eklampsie” aus. Die Frau erklärte ausdrücklich, nicht ins Krankenhaus zu gehen. Der Arzt erläuterte der Klägerin daraufhin, dass es – aufgrund der erhöhten Werte – zu Krämpfen und Blutungen kommen und auch das Kind betroffen sein könne.  Die Frau wollte nicht ins Krankenhaus fahren, so schlug Ihr der Arzt vor, zumindest relative Bettruhe einzuhalten, und, dass sie, wenn sich der Zustand verschlechtere, umgehend das Krankenhaus aufsuchen solle. Die Frau begab sich anschließend nach Hause, ließ sich aber am Nachmittag von ihrem Gatten wieder zur Arztpraxis bringen, da starke Schmerzen aufgetreten. Aufgrund der Oberbauchschmerzen empfahl der Arzt der Frau nochmals, das Landeskrankenhaus aufzusuchen und wies daraufhin, dass durch eine Entbindung des Kindes die Gefahr einer drohenden Eklampsie beseitigt werden könne. Weder am Vormittag noch am  Nachmittag des 2. 6. 2005 wies der Arzt daraufhin, dass eine nicht sofort durchgeführte Behandlung einer (Prä-)Eklampsie auch lebensbedrohlich sein könne, indem es zu einem HELLP-Syndrom und einer Hirnblutung kommen könne. Dies ist eine seltene, aber bekannte Komplikationen. Hätte der Arzt die Klägerin auf eine lebensbedrohliche Situation hingewiesen, wäre sie nicht mehr nach Hause gegangen, sondern hätte sich sofort ins Krankenhaus einliefern lassen. Nach Verlassen der Ordination fuhr die Klägerin wieder nach Hause.

Da sich die Symptome nicht verbesserten, ließ sie sich in der Nacht zum 3. 6. 2005 ins Krankenhaus bringen. Dort wurde an der in der 35. Schwangerschaftswoche befindlichen Frau die Diagnose eines HELLP-Syndroms gestellt. Am Morgen des nächsten Tages wurde eine Hirnmassenblutung mit Ventrikeleinbruch und begleitender subarachnoider Blutung sowie Mittellinienverschiebung nach links festgestellt. Nach einem Notfallkaiserschnitt wurde die Klägerin in die Intensivstation einer Landesnervenklinik verlegt, wo nach einer Eröffnung des Schädelknochens ein Hämatom entleert wurde.

Die Frau leidet nach wie vor an einer beinbetonten Halbseitensymptomatik mit einer Gefühlsminderung in körperfernen Abschnitten der linken unteren Extremität und einer gering ausgeprägten Gesichtsfeldeinschränkung. Spätfolgen sind aus neurologisch-psychiatrischer Sicht nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, aufgrund der Halbseitenschwäche kommt es zur einseitigen Belastung, sodass auch orthopädische Folgeprobleme eintreten können.

Die Frau begehrt vom Arzt Schadenersatz insbesondere wegen Unterlassung ausreichender Aufklärung über die Notwendigkeit eines unverzüglichen Spitalsaufenthalts.

Der konkrete Hinweis auf drohende Schäden, insbesondere auch für das ungeborene Kind, muss als ausreichend eindringlich angesehen werden, um einer werdenden Mutter wie der Klägerin die ernsten Folgen einer Unterlassung des Aufsuchens des Krankenhauses vor Augen zu führen. Das Verlangen, der Frau hätte überdies noch ausdrücklich auf eine „lebensbedrohende Situation” hinweisen müssen, hieße daher, den konkret anzuwendenden Sorgfaltsmaßstab zu überspannen. Da die Frau trotz anhaltender Schmerzen und des Hinweises auf eine mögliche Schädigung des ungeborenen Kindes bei ihrer zweimaligen starren Weigerung das Krankenhaus aufzusuchen blieb, konnte der Arzt auch gar nicht davon ausgehen, der Hinweis auf eine lebensbedrohliche Situation könnte zu einem Sinneswandel führen.

Kann somit dem Arzt nicht der Vorwurf einer fehlerhaften Behandlung durch mangelnde Aufklärung (RdM 2001/1 ua) gemacht werden.

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